Sonntag, 2. September 2012

History: Eine Lücke von fast 40 Jahren (1950–1987)

Die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts habe ich fälschlicherweise fast nur unter dem Eindruck zweier Weltkriege, der Weimarer Republik und des NS-Regimes gesehen. Die Zeit der Wiedervereinigung ist aus eigener Erinnerung präsent, deshalb wandert sie nicht wirklich in die Schublade mit dem Label ‘Geschichte’.
Erst mit dem Streit um den NATO-Doppelbeschluss sowie den riesigen Friedensdemos erwachte mein eigenes Interesse am Zeitgeschehen; ab da setzen auch Erinnerung und Wissen wieder ein.

Doch die Jahre dazwischen, fast vier Jahrzehnte, bilden eine Lücke, wie ich in diesen Tagen bemerke. Aus diese Zeit tauchen nur einige ‘Highlights’ oberflächlich vor meinem geistigen Auge auf, meist in Form markanter Bilder – aber Zusammenhänge sind kaum präsent.
In Deutschland erinnere ich das Foto des von der RAF entführten
Hanns Martin Schleyer; von internationalem Geschehen nicht viel mehr als damals unverstandene Fotos explodierenden Napalms über Vietnam und das Bild des Mädchens mit schwersten Verbrennungen (sie heißt Phan Thị Kim Phúc). Ich erinnere mich vage, dass ich damals schlecht schlief und viel träumte.

Letztlich weiß ich mehr über Sumerer, Griechen, Römer, das Alte Israel bis hin zur Kirchengeschichte samt Simonie, Kreuzzügen, Ketzer-Bashing und Inquisition als über diesen wichtigen Teil der Nachkriegsgeschichte. Dies ist kaum dem zu oft gescholtenen Bildungssystem vorzuwerfen, sondern eine Folge selektiver, interessengesteuerter Aufmerksamkeit und Wahrnehmung.

Um diese Lücke systematisch zu füllen fehlt mir vor dem Eintritt ins Rentenalter die Zeit; sinnvoll und möglich ist es eher, die politisch und gesellschaftlich relevanten Themen dieser Zeit punktuell zu erarbeiten -nach und nach…

So sind die nachfolgenden Filmbeiträge samt kurzer Erläuterungstexte nicht als vollständige Darstellung der Entstehung des Terrorismus im Deutschland der Nachkriegszeit aufzufassen – sondern lediglich einzelne Meilensteine auf diesem Weg.

 

Die Anwälte - Eine deutsche Geschichte

Beeindruckend die Schilderung von Hans Christian Ströbele, wie er unter dem Eindruck der Ereignisse während und nach dem Schah-Besuch zu der persönlichen Entscheidung gelangte, selbst Partei zu ergreifen und sich auf die Seite der Außerparlamentarischen Opposition (APO) zu schlagen. Sein Lebensweg dient m.E. als klarer Beleg dafür, dass ein Politiker über Jahrzehnte hinweg seinen Idealen und sich selbst treu bleiben kann.

In Bezug auf Otto Schily (“Nur Idioten ändern sich nicht”) ist dessen Entwicklung interessant zu beobachten, wie ein ‘knallharter Innenminister’ aus einem den sehr kritisch gegenüberstehenden Rechtsanwalt hervorgeht.
Seine harten Worte im Anschluss an die Terroranschläge von 9/11 – etwa zu Fragen wie Sicherheit, Datenschutz und Bürgerrechten -  lässt nicht unbedingt auf einen ‘Seitenwechsel’ schließen, es wird aber deutlich, um wie deutlich sich seine Einstellung zur zulässigen und wünschenswerten Rolle eines Rechtsstaates verändert hat.
Schily selbst begründet seine jeweilige Positionierung damit, dass er seit jeher für die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze eingetreten ist.

Dagegen ist der Paradigmenwechsel des mir bis dato unbekannten, vormals ‘linken’ Anwaltes und Mitgründers der Rote Armee Fraktion (RAF), Horst Mahler zum Rechtsextremismus zu und 2002 zur NPD schlichtweg nicht nachvollziehbar.
Am Rande frage ich mich nach der inneren Stärke einer Demokratie, welche Leute für die dumme und falsche Verleugnung des Holocaust für 6 Jahre wegsperrt – ist dies ein geeigneter Weg zur Auseinandersetzung mit alten und neuen Ewiggestrigen? Dieses schädliche Gerede öffentlich und vor allem Unwiderlegbar ad absurdum zu führen wäre vermutlich geeigneter – und würde jede Opferhaltung verbieten.
 

 

Die RAF

Mein Interesse richtet sich vor allem auf Umstände, welche zu der Entstehung einer gewaltbereiten Terrorszene aus Teilen der ursprünglich pazifistisch ausgerichteten studentischen Opposition.

I: Der Krieg der Bürgerkinder

Als ein Auslöser für die Radikalisierung der Studentenbewegung und die Gründung der Rote Armee Fraktion (RAF) gelten die Ereignisse um den Besuch des ‘persischen Märchenkaisers’ Schah Mohammad Reza Pahlavi 1967 in der Bundesrepublik und West-Berlin. In einer aufgeheizten Atmosphäre vor dem am Rathaus Schöneberg kam es zu schweren Auseinandersetzungen während einer Demonstrationen, als Anhänger und Geheimagenten des Schahs mit Holzlatten auf die Demonstranten einprügelten. Im Verlauf dieser Straßenschlacht wurde der Student Benno Ohnesorg vom Polizeiobermeister und Stasi-Mitarbeiter Karl-Heinz Kurras erschossen.

Der Tod Ohnesorgs erschütterte die gesamte Öffentlichkeit der jungen Bundesrepublik Deutschland und bewirkte eine Polarisierung, in der sich auch der Generationskonflikt widerspiegelten: Viele, die dank der ‘Gnade einer späten Geburt’ die Zeit des Nationalsozialismus nicht (oder als Kind) erlebt hatten, rebellierten gegen ihre Väter, denen pauschal Hörigkeit oder Mitläuferschaft während des NS-Regimes unterstellt wurde. Tatsache ist aber auch, das etliche der alten Nazis auch in der jungen Bundesrepublik erneut zu Macht, Reichtum und politischem Einfluss kamen – ohne dass sie notwendigerweise für eigene Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurden.

Näheres hierzu ist der SPIEGEL-Themensammlung Nationalsozialisten nach 1945 zu entnehmen.

Insoweit ist die Kritik linksgerichteter Kreise nicht unberechtigt und die Verbitterung junger Menschen verständlich – doch haben einzelne RAF-Mitglieder bis 1998 realisiert, dass Gewalt (noch dazu gegen Unschuldige) keine geeignete Konfliktlösung ist.

Ende der RAF:
Am 20. April 1998 geht bei der Nachrichtenagentur Reuters ein acht Seiten umfassendes Schreiben ein: "Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte…heute beenden wir dieses Projekt."

Nach 28 Jahren des bewaffneten “Untergrundkampfes gegen den Nazi-Faschismus” (wie sie es nannte) löste sich die RAF auf.
Also doch kein Bekenntnis zum Gewaltverzicht, sondern wohl eher die Einsicht, dass ihre Bemühungen letztlich ohne Erfolgsaussicht waren: “Das Ende dieses Projekts zeigt, daß wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten.”
Eingeständnisse von Fehlern fallen weitgehend taktisch aus… wirkliches Bedauern bezieht sich allein auf jene, die als RAF-Angehörige ihr Leben verloren haben, dabei wird jedoch kein Wort über die von ihr selbst verursachten Opfer verloren – im Gegenteil:

“…mit anderen Worten: Jene palästinensischen Terroristen, die die Lufthansa-Maschine mit den Mallorca-Urlaubern an Bord entführt hatten, waren nun doch nichts anderes als Märtyrer, die letztlich für eine gute Sache gestorben sind.”

 

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