Samstag, 12. Januar 2013

Die Nemesis-Hypothese

Hat unsere Sonnen einen unentdeckten Stern als Begleiter?


Die eingebettete Dokumentation über die vermeintlich “böse Schwester der Sonne” soll im Grunde eine nüchterne Aufgabe erfüllen: Eine wissenschaftliche Hypothese bringt die Periodizität von Massensterben auf der Erde in Verbindung mit Meteoriteneinschlägen. Ursache dieser Einschläge könnte danach ein Begleiter der Sonne sein, welcher diese in 26 Millionen Jahren einmal umkreisen und bei seiner Annäherung Objekte der Oortschen Wolke ins innere Sonnensystem lenke.
Leider verzichtet die Doku nicht auf das Vokabular und Gebaren der Sensationspresse, deshalb ist man versucht, sie gleich zu Beginn abzuschalten. Zu frisch ist noch das düstere und diffuse Gestammel vom Weltuntergang.
Allerdings geht es hier nicht um ein katastrophales Ereignis in naher Zukunft (auch wenn dies im u.a. Dokufilm natürlich mit anklingt) - sondern um wissenschaftliche Forschung zur fragliche Existenz eines Begleiters der Sonne.


Ausgangspunkt:
David M. Raup und J. John Sepkoski hatten 1984 die früheren Artensterben untersuchten und dabei entdeckten, dass die zeitliche Abstände zwischen Massensterben regelmäßig zwischen 26 und 33 Millionen Jahren liegen. Theoretischen Rechnungen gehen meist von einer Periode von etwa 27 Millionen Jahren aus.
In etwa demselben zeitlichen Abstand traten vermehrt Kometeneinschläge auf, sodass ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen als naheliegend betrachtet wurde. 


Eine Erklärung für die periodisch gehäuften Kometeneinschläge liefert ein eventueller Begleiter der Sonne, welcher in regelmäßigen Abständen die Oortsche Wolke durchquert und mit seinem Schwerefeld die dort befindlichen Kometen aus ihrer Bahn wirft. Diese Kometen bewegen sich dann in die inneren Bereiche des Sonnensystems, wo es auf Grund der vergrößerten Kometenzahl statistisch auch häufiger zu Einschlägen auf Planeten kommt. Dieser hypothetische Sonnenbegleiter wurde Nemesis genannt.


Die äußeren Objekte unseres Sonnensystems, darunter auch der Zwergplanet Sedna, bewegen sich auf Bahnen, die von dem berechneten (eigentlich ‘vorgeschriebenen’) Weg dieser Objekte z.T. deutlich abweichen. Vieles deutet darauf hin, dass die Ablenkung durch ein lichtschwaches, massereiches Objekt innerhalb unseres Sonnensystems verursacht wird. So weist der erst 2003 entdeckte transneptunische (sich außerhalb der Umlaufbahn von Neptun um die Sonne bewegende) Zwergplanet “Sedna” eine extrem elliptische Umlaufbahn um die Sonne auf.



Sedna

Mit einem geschätzten Durchmesser von 1.700 Kilometern beträgt Sednas derzeitige Entfernung zur Sonne etwa 13 Milliarden Kilometer (rund 90 AU) und umrundet die Sonne einmal in 10.500 bis 12.000 Jahren. Der Astronom Mike Brown, Sednas Entdecker, stellte fest, dass es den Zwergplaneten eigentlich nicht geben dürfte.
“Er kommt nie auch nur nahe genug an die Sonne heran, um von ihr beeinflusst zu werden, entfernt sich aber auch niemals weit genug von ihr, um in den Einflussbereich anderer Sternen zu geraten.”
Sednas ungewöhnliche Umlaufbahn und Position so weit draußen im All ließen sich wohl nur durch ein unbekanntes, mehr oder weniger ‘unsichtbares’ Objekt in unserem Sonnensystem erklären. Die unklare Ablenkung wird von Astronomen der NASA auch bei Kometen des inneren Sonnensystems bestätigt, die nahezu alle ihren Ursprung in der selben Region innerhalb der Oortschen Wolke haben. Der Schwerkrafteinfluss eines solaren Begleiters, könnte diesen Teil der Wolke stören und Kometen so ins innere Planetensystem lenken. Auch diese kaum erklärbaren Abweichungen scheinen die Hypothese zu stützen, nach der unsere Sonne einen Begleiter (“Nemesis”) hat, der sie als Stern oder Brauner Zwerg in einer Entfernung von etwa 1 – 3 Lichtjahren umlaufen soll.
Der Wikipedia-Artikel über Nemesis bezeichnet Nemesis als “hypothetischen Begleiter unserer Sonne, der als Stern oder Brauner Zwerg die Sonne in einer Entfernung von etwa einem Lichtjahr bis drei Lichtjahren umlaufen soll. Seine Existenz wird aufgrund einer Periodizität von Kometeneinschlägen und Artensterben auf der Erde vermutet”.
Postuliert wurde Nemesis unter anderem von Richard Muller. Angeregt wurde Muller  dazu von Walter Alvarez, der das Aussterben der Dinosaurier infolge eines Kometeneinschlags vermutete – denn auch die Meteoritenkrater auf der Erde weisen eventuell eine übereinstimmende Altersstufung auf. Nemesis war in der griechischen Mythologie die Göttin des gerechten Zorns und der Vergeltung.

Kleiner Stern oder Brauner Zwerg?
Seit dem Aufkommen der Nemesis-Hypothese hat man versucht, ein solches Objekt mit Hilfe der bekannten physikalischen Gesetze und existierender Beobachtungen zu kategorisieren – ohne eindeutiges Ergebnis: Nemesis wird mitunter als Brauner Zwerg oder als roter Zwergstern beschrieben und soll drei bis fünf Jupitermassen besitzen. Als roter oder brauner Zwerg wäre er wäre kleiner und auch deutlich kälter als unsere Sonne.
Falls Nemesis existiert, ist sie sehr wahrscheinlich leuchtschwach, besitzt nur eine geringe Radialgeschwindigkeit und könnte allenfalls entdeckt werden durch moderne Projekte zur kontinuierlichen Beobachtung des Sternenhimmels - wie Pan-STARRS (Panoramic Survey Telescope and Rapid Response System).
Vier 1,8-Meter-Teleskope, die auf Hawaii errichtet werden sollen, werden in der Lage sein, Objekte mit einer scheinbaren Helligkeit bis zur 24. Größenklasse zu beobachten. Ein Abgleich mit früheren Beobachtungen soll die Entdeckung neuer Himmelskörper ermöglichen – darunter womöglich auch Nemesis.
Parallel zu Pan-STARRS ist
LSST geplant, ein ähnliches Vorhaben mit einem in Chile stationierten 8,4-Meter-Teleskop.

Handelt es sich bei Nemesis um einen Braunen Zwerg, so sollte ihre Existenz mit dem “Wide-field Infrared Survey Explorer” (WISE) bald geklärt werden. WISE soll im Auftrag der NASA nach nur im Infrarotspektrum sichtbaren Himmelsobjekten absuchen – auch nach Braunen Zwergen, von denen mehrere Tausend im Umkreis von 25 Lichtjahren um unser Sonnensystem vermuten. Ein Objekt mit der mindestens mehrfachen Masse des Jupiters in einem Umfeld von rund 25.000 AU sollte also nicht zu übersehen sein. Da erdnahe Objekte vor allem durch mehrere Positionsveränderungen bestimmt werden, kann die Frage nach Nemesis’ Existenz vermutlich erst in den kommenden Jahren endgültig beantwortet werden.-
Die Nemesis-Hypothese ist eine der Fragestellungen, die wir bei aller verständlichen Ablehnung von unausgegorenen Katastrophen-Szenarien nicht pauschal in der Kategorie ‘unbegründetes Gefasel’ ablegen sollten. Auch die Abhandlung ‘Hypothetische Planeten’ von Paul Schlyter legt nahe, dass Nemesis also nicht unbedingt als haltlose Spekulation angesehen werden muss:
“Nehmen wir einmal an, die Sonne wäre nicht allein, sondern hätte einen Zwillingsstern. Nehmen wir des weiteren an, dieser Zwillingsstern bewegt sich auf einem elliptischen Orbit, mit einem Abstand zur Sonne zwischen 90.000 AE (1,4 Lichtjahre) und 20.000 AE, mit einer Periode von 30 Millionen Jahren.
Und nehmen wir schließlich an, dieser Stern sei dunkel und letztendlich sehr fein, und daher haben wir ihn bislang nicht entdeckt. Dies würde bedeuten, daß alle 30 Millionen Jahre dieser hypothetische Zwillingsstern der Sonne die Oortsche wolke durchqueren würde [...].

Während einer solchen Passage würden die Proto-Kometen durcheinander gewirbelt werden. Einige zehntausende Jahre später würden wir hier auf der Erde einen dramatischen Anstieg der Anzahl von Kometen feststellen, die das innere Sonnensystem durchqueren. Wenn natürlich die Anzahl der Kometen ansteigt, tut dies naturgemäß auch die Wahrscheinlichkeit, daß die Erde mit dem Kern eines dieser Kometen kollidiert.”
Weil inzwischen Untersuchungen der geologischen Erdgeschichte ein zyklisches Massensterben alle 30 Millionen Jahre auf der Erde nahelegen, könnte auch ein ein Bezug zum Dinosauriersterben vor etwa 65 Millionen Jahren bestehen. Nach der o.a. Hypothese wäre also in etwa 25 Millionen Jahren mit dem nächsten Massensterben zu rechnen.

Wie konnte Nemesis bisher übersehen werden?
Es ist denkbar, dass man diesen vermuteten Begleitstern der Sonne noch nicht als solchen erkannt hat. Sterne zu entdecken ist weitaus einfacher, als deren Entfernung zur Erde zu bestimmen. Falls Nemesis wirklich existiert, dann wurde sie/er vermutlich längst von Astronomen registriert. Als Begleiter der Sonne wird Nemesis erst dann eingeordnet werden können, wenn die genaue Entfernung feststeht. 
Wie Schlyter (s.o.) erklärt, wird die Untersuchung der Nemesis-Hypothese dadurch erschwert, dass es keine sonstige Hinweise auf einen Zwillingsstern der Sonne gibt:
Es ist möglich, daß er sogar in einem der Kataloge dunkler Sterne auftaucht, ohne daß jemand etwas besonderes bemerkt hätte, namentlich die scheinbar gewaltige Bewegung, die er vor dem Hintergrund der viel entfernteren Sterne vollziehen würde (d.h. seine Parallaxe). Sollte er gefunden werden, dürften die wenigsten daran zweifeln, daß er Hauptursache des regelmäßigen Massensterbens auf der Erde ist.“
Auch auf die mythologische Seite geht Schlyter ein:
“Wenn ein Anthropologe früherer Generationen eine derartige Geschichte von seinen „Informanten“ zugetragen bekommen hätte, würde sich die vorherrschende Schulmeinung zweifelsohne Begriffen wie ,primitiv’ oder ,vorzeitlich’ bedienen. Dazu die folgende Geschichte:
         ‘Es gibt eine weitere Sonne am Himmel, ein Dämonenstern, den wir nicht sehen können. Vor langer Zeit, noch vor der Zeit unserer Vorväter, griff dieser Dämonenstern die Sonne an. Kometen fielen, und ein fürchterlicher Winter überfiel die Erde. Fast alles Leben wurde zerstört. Die Dämonensonne hat schon viele Male angegriffen. Sie wird es wieder tun.’
Daher dachten manche Wissenschaftler, diese Nemesistheorie ist ein Witz, […] hört sich nach Täuschung oder einer Fabel an. Es verdient einen zusätzliche Portion Skeptizismus, weil wir ständig in Gefahr sind, uns selbst zu betrügen.
Aber auch, wenn diese Theorie spekulativ ist, sie ist seriös und respektabel, weil der wesentliche Gegenstand überprüfbar ist: man findet den Stern und untersucht seine Eigenschaften. Dennoch, nachdem die Untersuchung des gesamten Himmels in Infrarot durch IRAS keine „Nemesis“ entdecken konnte, ist eine Existenz von „Nemesis“ nicht sehr wahrscheinlich. “
Bezeichnungen wie ‘Todesstern’ oder ‘böse Schwester’ sind in jedem Fall irreführend: Sollte ein solcher Begleiter der Sonne das Aussterben der Dinosaurier verursacht haben, dürfte er damit zugleich den Anstoß für die Evolution der Säugetiere und letztlich des Menschen gegeben haben…
Für die zyklischen Einschlagsereignisse existieren freilich auch weitere Erklärungsversuche, die keines Doppelsternes bedürfen: Astronomen um Professor William Napier am Cardiff Institute erstellten eine Simulation der Bewegung unseres Sonnensystems. Danach soll sich das Sonnensystem etwa alle 35 Millionen Jahre durch die Ebene der Milchstraße bewegen, dabei staub- und kometenreiche Regionen passieren und so das Risiko von Einschlägen auf der Erde deutlich vergrößern.